Landraub und Aufstände: 1525
Einer der Auslöser für die Widerstandsbewegung in Mitteleuropa um das Jahr 1525 war nicht zuletzt der Entzug gemeinschaftlich genutzter Flächen, was wir heutzutage als „Landgrabbing“ bezeichnen würden. Adel und Klerus schleiften Altes Recht, das den einfachen Leuten die Selbstversorgung durch kollektiv nutzbare Weiden, Wälder und Flüsse (zumeist unter dem Begriff „Allmende“ bekannt) garantiert hatte.
Für die Verwaltung und gerechte Nutzung des Allgemeinguts waren häufig die Bewohner*innen des Dorfes selbst verantwortlich. Die daraus gewonnen Güter durften z.B. nicht verkauft werden, sondern waren für die Grundversorgung der Gemeinde und ihrer Mitglieder gedacht. Durch steigendes Profitinteresse, wegen teurer Kriege oder hohem Lebensstandard eigneten sich die Lehnsherren die Flächen immer weiter selbst an, um sie gewinnbringend auszubeuten. Beispielsweise handelten und verkauften sie das Holz aus den Gemeindewäldern, das zuvor den Familien oder für Bauten im Dorf je nach Bedarf zugeteilt worden war.
Da die einfachen Leute göttliches Recht verletzt und sich ihrer Lebensgrundlage beraubt sahen, stellten sie Forderungen an die Obrigkeiten auf. In den 12 Artikeln der Christlichen Vereinigung, dem Zusammenschluss der oberschwäbischen Bauernhaufen, beispielsweise hat die Forderung nach Autonomierechten einen großen Stellenwert. So heißt es im 5. Artikel: Haben sich die Herrschaften die Hölzer (Wälder) alleine angeeignet. Wenn der arme Mann etwas bedarf, muss er es für das doppelte Geld kaufen. Es sollen daher alle Hölzer, die nicht erkauft sind, der Gemeinde wieder heimfallen (zurückgegeben werden), damit jeder seinen Bedarf an Bau- und Brennholz daraus decken kann.
Der 4. Artikel bezieht sich auf die Jagd: Ist es unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt über alle Tiere, den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser gegeben. Und schließlich im 10. Artikel: Haben etliche sich Wiesen und Äcker, die einer Gemeinde zugehören, angeeignet. Die wollen wir wieder zu unseren gemeinen Händen nehmen.
Die Herrschaften waren häufig nicht bereit, den einfachen Leuten Flächen und Rechte zurückzugeben, geschweige denn auf ihre Forderungen einzugehen. Als Antwort darauf, schlossen diese sich zu sogenannten Bauernhaufen zusammen, stellten das Zahlen von Steuern ein und erschienen nicht zu Frondiensten. Die Widerstandsbewegung nahm im Frühling 1525 an Fahrt auf. Ideen einer konföderal und selbst organisierten Gesellschaft und ein Ende der Unterwerfung unter Adel und Klerus bewegten in großen Teilen Mitteleuropas Bäuer*innen und Handwerker*innen, Dorf- und Stadtbewohner*innen.
Die Gefahr ihre Privilegien zu verlieren veranlasste die Obrigkeiten, die Freiheitsbewegung brutal niederzuschlagen. Ungefähr 100.000 Aufständische wurden in dem kurzen Zeitraum bis zum Herbst 1525 ermordet. Besiegelt war der Siegeszug von Privateigentum, hierarischer Gesellschaftsordnung und einem auf Ausbeutung basierendem Wirtschaftsmodell. Den Verlust von kollektiv genutztem Land und von einem nach Freiheit strebendem Gemeinschaftsgefühl spüren wir in den mitteleuropäischen Gesellschaften bis heute.
Spekulation mit Agrarflächen: 2015
Der schwierige Zugang zu Land ist ein riesiges Problem für landwirtschaftlich arbeitende Menschen heute. Gemeinschaftlich genutzte Flächen sind in Mitteleuropa nur noch selten zu finden, der Prozess der Privatisierung scheint ausnahmslos abgeschloßen zu sein. Bis in die 1990er Jahre existierte kollektiv bewirtschaftetes Land insbesondere in Osteuropa (das Gebiet der DDR eingeschlossen). Allerdings waren diese Flächen durch die Regierungen verwaltet und nicht durch die Landwirt*innen selbst.
Agrarland wurde in vielen Ländern Osteuropas nach dem 2. Weltkrieg in staatliches Eigentum umgewandelt. In der Hand von Land- und Agrargenossenschaften wurden auf großen zusammenhängenden Flächen, Nahrungsmittel angebaut. Nach dem Ende der Sowjetunion wurden die meisten Flächen dann wieder privatisiert. Heute ist es insbesondere dieses Land, das zum Spekulationsobjekt geworden ist. Momentan kaufen internationale Großkonzernen im großen Stil Agrarflächen auf. Dass Landgrabbing kein Phänomen aus dem globalen Süden ist, sondern dass Profitinteresse den einfachen Menschen weltweit die Lebensgrundlage entzieht, zeigen Beispiele aus Sápmi , aus Rumänien, Serbien und Ungarn etc.
Tatenlos müssen Landwirt*innen zusehen, wie um sie herum das Agrarland verscherbelt wird, während sie weder bei Pacht- geschweige denn bei Kaufpreisen mithalten können. Ihr Ackerland reicht aber häufig nicht zum Überleben aus. Höfesterben ist die bittere Folge.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft setzt sich dafür ein, innerhalb des parlamentarischen Rahmens die Situation für die Landwirt*innen zu verbessern. Der gemeinnützige Verein wirbt für eine progressive Grunderwerbssteuer, um den landwirtschaftlichen Bodenmarkt über eine Freibetragsregelung zu regulieren. Aber auch der Schutz vor außerlandwirtschaftlichen Investoren durch Agrarstrukturgesetze und die gemeinwohlorientierte Verpachtung zählen zu den Forderungen der ABL an die Regierung.
Wir sind gespannt, ob die Obrigkeiten auf diese gemäßigten, fast schon bescheidenen Vorschläge 500 Jahre nach der Niederschlagung der Freiheitsbewegung eingehen werden. Dass auch heute noch eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft, weitreichende Selbstverwaltung und konföderale Demokratie ein gutes Leben für Alle bedeuten würde, daran sollte es dennoch keinen Zweifel geben.
Zum Weiterlesen:
How Do We Define Land Grabbing? By the European Via Campesina
https://www.eurovia.org/publications/how-do-we-define-land-grabbing/
An European network of grassroots organisations securing land for agroecological farming
https://www.accesstoland.eu/-Eco-Ruralis-
The Land Matrix is an independent land monitoring initiative that promotes transparency and accountability in decisions over large-scale land acquisitions (LSLAs) in low- and middle-income countries by capturing and sharing data about these deals.
https://landmatrix.org/
La Via Campesina International
https://viacampesina.org
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (ABL): Instrumente für einen gerechten Zugang zu Land von Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
https://www.abl-ev.de/themen/bodenpolitik
Studie zur Progressiven Grunderwerbssteuer
https://www.abl-ev.de/fileadmin/user_upload/Studie_2_Progressive_Grunderwerbsteuer_zur_Regulation_des_Bodenmarkts_-_Einzelfragen_Freibetrag_einseitig.pdf
Land Grabbing in Osteuropa
https://fian.at/de/artikel/land-grabbing-osteuropa/
Landkonzentration in Ostdeutschland: Bedrohung für bäuerliche Selbstbestimmung und Ernährungssouveränität-aus FoodFirst 01/2025
https://www.fian.de/allgemein/landkonzentration-in-ostdeutschland-bedrohung-fuer-baeuerliche-selbstbestimmung-und-ernaehrungssouveraenitaet-aus-foodfirst-01-2025/
Geschichte der Allmende
https://allmende-waldgarten.de/allmende-gedanke/die-geschichte-der-allmende.html
Ulbacher Allmenden
http://uhlbacher-allmenden.de/
Eco Ruralis is an association of peasants and farmers in the so called Romania, which operates at a national level, with almost 20,000 members in all counties of the country.
https://www.ecoruralis.ro-
Website, die Konflikte um Land in Indien kartiert.
https://www.landconflictwatch.org/
La Via Campesina International
https://viacampesina.org
LINKS Medien
Podcast des Deutschlandfunkes
https://www.deutschlandfunk.de/ackerland-investoren-ostdeutschland-landgrabbing-100.html
Bericht in der Tagesschau
https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesthemen/video-1214052.html
Aldi-Erben greifen nach Agrarland
https://taz.de/Landgrabbing-in-Ostdeutschland/!5621001/
Land grabbing and uprisings: 1525
One of the triggers for the resistance movement in Central Europe around 1525 was not least the confiscation of communally used land, what we would nowadays call “land grabbing”. The nobility and clergy abolished ancient law, which had guaranteed the common people self-sufficiency through collectively usable pastures, forests and rivers (usually known as the “commons”).
The inhabitants of the village themselves were often responsible for the administration and fair use of the commons. The goods obtained from it were not allowed to be sold, for example, but were intended for the basic needs of the community and its members. Due to an increasing interest in profit, expensive wars or high living standards, the feudal lords appropriated more and more of the land themselves in order to exploit it profitably. For example, they traded and sold the wood from the communal forests, which had previously been allocated to families or for buildings in the village according to need.
As the common people felt that divine law was being violated and their livelihoods were being robbed, they made demands of the authorities. In the 12 articles of the Christian Association, the union of the Upper Swabian peasant clusters, for example, the demand for autonomy rights is of great importance. The 5th article states: „Have the lords appropriated the woods (forests) alone. If the poor man needs something, he must buy it for double the money. All wood that has not been purchased should therefore be returned to the community so that everyone can meet their needs for building and firewood.
The 4th article refers to hunting: “It is unbrotherly and not according to the word of God that the poor man has no power to catch game, fowl and fish. For when the Lord God created man, he gave him authority over all animals, the bird of the air and the fish of the water.“ And finally in the 10th article: „Have some appropriated to themselves meadows and fields belonging to a community. Let us take them back into our common hands.“
The lords were often unwilling to return land and rights to the common people, let alone respond to their demands. In response, they joined together to form so-called peasant bands, stopped paying taxes and did not show up for farm labor. The resistance movement gathered momentum in the spring of 1525. Ideas of a confederal and self-organized society and an end to subjugation to the nobility and clergy moved peasants and craftsmen, villagers and townspeople in large parts of Central Europe.
The danger of losing their privileges prompted the authorities to brutally suppress the freedom movement. Around 100,000 rebels were murdered in the short period up to the fall of 1525. The triumph of private property, a hierarchical social order and an economic model based on exploitation was sealed. The loss of collectively used land and a sense of community striving for freedom can still be felt in Central European societies today.
Speculation with agricultural land: 2015
Difficult access to land is a huge problem for people working in agriculture today. Collectively farmed land is rarely found in Central Europe, and the process of privatization seems to have been completed without exception. Collectively farmed land existed until the 1990s, particularly in Eastern Europe (including the territory of the GDR). However, this land was managed by the governments and not by the farmers themselves.
Agricultural land was converted into state property in many Eastern European countries after the Second World War. Food was cultivated on large contiguous areas under the control of agricultural cooperatives. After the end of the Soviet Union, most of the land was privatized again. Today, this land in particular has become an object of speculation. Large international corporations are currently buying up agricultural land on a grand scale. Examples from Sápmi, Romania, Serbia and Hungary etc. show that land grabbing is not a phenomenon from the Global South, but that profit interests are depriving ordinary people around the world of their livelihoods.
Farmers have to stand idly by and watch as agricultural land is sold off around them, while they are unable to keep up with rental prices, let alone purchase prices. However, their farmland is often not enough to survive. The bitter consequence is the death of farms.
The Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft is committed to improving the situation for farmers within the parliamentary framework. The non-profit association is campaigning for a progressive land transfer tax to regulate the agricultural land market by means of a tax-free allowance. However, the ABL’s demands to the government also include protection from non-agricultural investors through agricultural structure laws and leasing for the common good.
We are curious to see whether the authorities will respond to these moderate, almost modest proposals 500 years after the suppression of the freedom movement. Nevertheless, there should be no doubt that even today an economy oriented towards the common good, far-reaching self-administration and confederal democracy would mean a good life for all.